Das Seitenlinienorgan
Haarzellen
Ohraufbau
äuß. Haarzellen
Seitenlinie
inn. Haarzellen

Das Seitenlinienorgan

 

1. Phänomene in der Natur

a) Der mexikanische Höhlenfisch Astyanax

Bei diesem mexikanischen Höhlenfisch, einer adult augenlosen Fischart, hat man einen so genannten Ferntastsinn festgestellt. In fremder Umgebung schwimmt dieser Fisch zur Erkundung des Raumes ruhelos umher. Gleitet er an Gegenständen vorbei, so neigt er sich zur Seite, um seine Körperseite dem Objekt zuzuwenden. Es wird angenommen, daß der Fisch dabei das von ihm selbst beim Gleiten durchs Wasser erzeugte Strömungsfeld mit Hilfe des Seitenliniensystems registriert.

b) Geblendete Aquariumsfische

Auch geblendete Aquariumsfische zeigen die Eigenart eines Ferntastsinnes. Spätestens 1-2cm vor der Aquariumswand drehen sie ab und vermeiden eine Kollision mit der Glaswand. Dies tun sie jedoch nur, wenn das eigene Strömungsfeld nicht durch aktive Schwimmbewegungen beeinträchtigt wird. Tiere, die aktive Schwimmbewegungen ausführen, kollidieren unweigerlich mit der Aquariumswand.

c) Jagdverhalten von Haien

Haie beweisen immer wieder ihre Fähigkeit, unsichtbare, im Sand verborgene Beutefische aufzuspüren. Dabei schwimmen sie mehrmals über die selbe Bodenstelle, um das Beutetier zu orten. Versuche mit im Sand vergrabenen Batterien haben gezeigt, daß die erzeugten elektrischen Felder der Beutefische für diese Fähigkeit verantwortlich sind.

 

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2. Aufbau und Wirkungsweise der Lorenzini-Ampullen

Bei den Lorenzini-Ampullen handelt es sich um Gruben, die sich an den Körperseiten und in der Kopfregion von Fischen befinden können. Sie sind blind geschlossene, gallertgefüllte Kanäle, die tief ins Unterhautbindegewebe hineinragen und am Ende kolbenförmig verdickt sind. Ein kleines Bündel von Nervenfasern tritt ins Zentrum ein und verliert dort den Markmantel. Die Ampullenorgane nehmen mehrere Modalitäten wahr: Kälte, mechanische, chemische und elektrische Reize, für die sie am empfindlichsten sind. Ihnen fehlt die Cupula. Kleine Plattfische erzeugen bioelektrische Gleichstromfelder, die von Haien in 10cm Entfernung, von Rochen aus noch größerem Abstand wahrgenommen werden können. Schirmt man die Gleichstromfelder ab, können die Beutefische nicht mehr geortet werden. Die Haie zeigen jedoch ein normales Verhalten, wenn man eine Batterie im Sand vergräbt. Verantwortlich für die Rezeption der elektrischen Reize sind die Lorenzini-Ampullen.

Der Mechanismus der Elektrorezeption ist in Abb. 1 schematisch dargestellt.

Abbildung 1: Die Lorenzini-Ampullen

Die hier dargestellten Vorgänge gelten für die Lorenzini-Ampullen eines Welses. Die im Experiment in Form von Spannungssprüngen erzeugten Reize werden innerhalb der Ampullen “abgerundet”, d.h. die Ampulle dient als Tiefpaßfilter, der  die abrupte Spannungsänderung abschwächt, die gleichbleibende Spannung aber durchläßt. Der so modulierte Reiz erzeugt in der Haarzelle ein Rezeptorpotential, welches die Transmitterausschüttung in den Synapsen an den Nervenendigungen verändert und so für eine Fortleitung des Reizes sorgt.

Auffallend ist die starke Ruheaktivität, die eine gleichermaßen exakte Codierung von hemmenden wie erregenden Veränderungen gestattet

 

(Quelle: SHEPERD, GORDON: Neurobiologie. Oxford 1988)

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3. Aufbau und Wirkungsweise der Neuromasten

Das eigentliche Seitenlinienorgan besteht meistens aus einer Rinne, die im typischen Fall auf beiden Seiten etwa in Rumpfmitte vom Hinterrand des Kiemendeckels bis zum Schwanzstiel verläuft und bei manchen Familien auch auf die Schwanzflosse übergeht. Man erkennt die Seitenlinie an den durchlöcherten Schuppen. Manche Fischarten verfügen über mehrere, unterschiedlich verteilte Seitenlinien. Die Seitenlinie des Rumpfes teilt sich am Kopf normalerweise in 3 Kopfkanäle, von denen der Ramus supraorbitalis über dem Auge verläuft, während der Ramus suborbitalis und der Ramus mandibularis unterhalb des Auges verlaufen. Abb. 2

 

Abb.2: Das Seitenlinienorgan der Fische

Quelle: BONE, O.; MARSHALL, N.B.: Biologie der Fische. S. 156. Stuttgart 1985

Die Sinnesorgane dieses Systemes sind Neuromasten, die sich phylogenetisch vielleicht von allgemeinen Mechanorezeptoren der Haut ableiten. Alle Neuromasten bestehen aus sekundären Sinneszellen, die von markhaltigen Nervenfasern versorgt werden. Sie sind zusammengesetzt aus mehreren Haarzellen von zylindrischer Form, die jeweils ein einzelnes langes Kinocilium sowie bis zu 30 Stereocilien (Mikrovilli) besitzen.

Diese Cilien werden von einer sehr zarten, gallertartigen, finger- oder becherförmigen Gallerte umhüllt (Cupula), ragen ins freie Wasser oder sind in einem Epidermiskanal eingeschlossen. Das jeweilige Kinocilium ist bei den Fischen asymetrisch angeordnet , d.h. jeweils auf einer Seite der Mikrovilli. Die Neuromasten stehen im Dienst der Strömungsrezeption und der Lokalisation sich bewegender Objekte.

 

Abb. 3: Aufbau der Neuromasten

Neben den freien Neuromasten, die an der Oberfläche stehen und an bei Tiefseefischen sogar auf Papillen exponiert sein können, gibt es die Kanalneuromasten, die sich in einer meist geschlossenen Rinne befinden. Diese Rinne kann bis in die Unterhaut versenkt sein und steht durch Poren mit der Oberfläche in Kontakt. Die Kanäle sind mit Schleim gefüllt und können mit einem U-Bahn-System verglichen werden. Durch die starke Ruheaktivität reagieren die Kanalneuromasten bidirektional, d.h. derselbe Neuromast entlädt, wenn der Schwanz in die eine Richtung schlägt, und schweigt, wenn er in die andere gebogen wird, entsprechend dem Hin- und Herfließen der Kanalflüssigkeit. Abb.4

Dabei erfolgen die Entladungen in Bursts synchron zu den Schwimmbewegungen, zu deren Koordination sie vielleicht beitragen. Die in einer Gruppe vereinigten Sinneszellen haben nicht die gleiche Richtungsempfindlichkeit. Die Erregungen beider Rezeptortypen werden getrennt über Nervenfasern fortgeleitet.

Im Gegensatz zu den Lorenzini-Ampullen werden die Neuromasten nicht nur afferent versorgt, sondern auch efferent. Die Reizung der efferenten Neurone, die nicht spontan tätig sind, hemmt beim Katzenhai die Spontanaktivität der afferenten Fasern, was vermutlich eine Überreizung bei schnellem Schwimmen verhindern soll.

Abb. 4: Die Richtungsempfindlichkeit der Haarzellen aus dem Seitenlinienorgan von Lota vulgaris.

(Quelle: PERZLIN, H.: Lehrbuch der Tierphysiologie. 1996)

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4. Verbreitung und Evolution des Seitenlinienorgans

Das Lateralis- oder Seitenlinienorgan findet man bei allen primär wasserlebenden Wirbeltieren, von primitiven Cyclostomen wie dem Neunauge bis zu den Amphibien.

Seitenlinienorgan bei:

Vorhanden/nicht vorhanden:

Cyclostomen

Vorhanden

Knorpelfische

Vorhanden

Knochenfische

Vorhanden

Amhibien

Vorhanden

Reptilien

Nicht vorhanden

Vögel

Nicht vorhanden

Säuger

Nicht vorhanden

Am Anfang stehen freie Sinnesknospen, die in schlitzförmige Spalten versenkt werden können und bei den Haien Spaltpapillen bilden. Es folgen Sinneshügel in offenen Epidermisrinnen. Das nächste Stadium stellen schleimgefüllte Kanäle dar, die sich durch Poren oder Röhren nach außen öffnen. Zuerst liegen sie subepithal, später tief ins Corium versenkt. Enge Kanäle finden sich v.a. bei Fischen, die in schnellen Gewässern leben, weite Kanäle hingegen bei Fischen, die in ruhigen und/oder tiefen Gewässern leben. Ursprünglich war es vermutlich ein System, das die ganze Oberfläche durchzog, bis es sich später auf meistens 1 Seitenlinie konzentrierte.

Das Labyrinth kann als Endstadium der Evolution versenkter Neuromastenorgane des Seitenliniensystems angesehen werden. Ontogenetisch gesehen geht das Labyrinth mit der Seitenlinie aus einer gemeinsamen Plakode hervor. Das innere Ohr entwickelt sich in genau derselben Weise wie ein einzelnes Sinnesorgan in der Seitenlinie. Aber es sinkt tiefer in den Körper ein und ist besonders vergrößert und verändert worden, um feinere Schwingungen empfangen zu können als die Sinneshügel.

 

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