Was ist Schmerz?
Refer
at von A. Scholten, N. Welke, gehalten am 18. Dezember 2000

1. Schmerzcharakterisierung:

Nach Lage:

Somatischer Schmerz:
Schmerzempfindung, die entweder von der Oberfläche oder aus der Tiefe stammt.Hierbei liegt das Zentrum des Schmerzes entweder in der Haut, oder im Bindegewebe, in der Muskulatur, oder in den Knochen/Gelenken.

Visceraler Schmerz:
gleichbedeutend mit Eingeweideschmerz, Spasmen, starke Dehnung, Ischämie

Nach Schmerzdauer:

Akuter Schmerz:
dient als Signal – und Warnfunktion.
Der Schmerz klingt direkt ab, wenn der noxische Reiz beseitigt ist.

Chronischer Schmerz:
Erst wenn die Beschwerden länger als ein halbes Jahr bestehen. Dieser Typ, spiegelt meistens eine dauerhafte Organschädigung wider, muss aber nicht (Krebs bleibt lange unentdeckt.).
Der chronische Schmerz kann zum eigenen Krankheitsbild werden Õ keine Warnfunktion!
psychogener Schmerz: seltener die Halluzination, häufiger: Konversionsneurose: die Schmerzempfindung hat keinen organischen Grund, sondern ist Ausdruck psychischer Belastung Õ Migräne.


2. Schmerzkomponenten
Sensorische Komponente: die Sinnesempfindung Schmerz umschreibt einen noxischen Reiz. Die Ausprägung ist unterschiedlich. Verarbeitung findet im thalamokortikalen Strukturen statt.
Affektive oder emotionale Komponente: umschreibt den emotionalen Anteil des Schmerzes. Alle Sinneseindrücke rufen Gefühle hervor, Schmerz meistens Unlustbetonte. Verarbeitung im limbischen System
Vegetative Komponente: Schmerz löst auch vegetative Reaktionen aus. Symphatische: starke Durchblutung der Muskulatur, Anstieg der Herzfrequenz / des Blutdruckes / der Atemfrequenz, etc. Tritt bei somatischen Schmerzen auf. Parasympatische: starke Durchblutung der Eingeweide, Abnahme der Herzfrequenz / Blutdruckes /Atemfrequenz
Tritt oft bei visceralen Schmerzen auf.
Motorische Komponente: Flucht – oder Schutzreflex. Bei visceralen und Tiefen - Schmerz: Muskelverspannungen

3. Schmerzbewertung:
- Erfolgt immer aus dem vergleich von erfahrenen Schmerzen und Akuten
- Kognitive Komponente = erkennende Komponente
- Beeinflusst die Schmerzäußerung
- Vermutlich werden auch affektive, sowie vegetative Komponenten beeinflusst: die Stärke der Schmerzäußerung hängt ebenfalls von der sozialen und familiären Situation, sowie von Erziehung und Kultur (ethnische Herkunft) (Morbus mediterranae) ab. Die Reaktion auf Schmerz und die Situationsbewältigung ist nicht angeboren, sondern wird erlernt.

4. Schmerzmessung (Algesymetrie):
Subjektive Algesymetrie:  

misst die Schmerzschwelle, ~intensität,~toleranzschwelle

kann auch kombiniert werden: mit klinische Alg. Õ Pat. bekommen Fragebögen, oder müssen subjektiv ihr Schmerzempfinden auf Skalen eintragen

Objektive Agesymetrie: Erfolgt durch Beobachter, die die Schmerzäußerung durch motorische und Vegetative Reaktionen messen.
Mehrdimensionale Algesymiterie: Kombination aus allen
Schmerzmessung:
beim Menschen durch experimentelle thermische Schmerzreizung. lnfrarotstrahlung erwärmen ein geschwärztes Hautfeld auf der Stirn der Versuchsperson. Die Hauttemperatur wird über einen Temperaturfühler (Photozelle) aufgenommen und auf einem Schreiber registriert. [Nach HARDY:J. Appl. Physiol. 5, 725 (1953)]. Die gelbe Kurve zeigt die Abhängigkeit der Schmerzschwelle (Mittelwerte) von der Dauer des Hitzereizes. Die Versuchspersonen wurden angehalten, die Strahlungsintensität selbst so zu regulieren, daß die Hauttemperatur für die Dauer des Versuches gerade als schmerzhaft empfunden wurde. Das anfängliche Überschießen der Hauttemperatur über die Schmerzschwelle hinaus ist durch die Trägheit der Versuchsanordnung bedingt. [Nach GREENE und HARDY:J.Appl. Physiol. 17,693(1962)]
zum vergrößern, bitte anklicken.
Schmerzadaption:
Erfolgt nicht, selbst bei langanhaltenden Schmerzen erfolgt keine Anpassung. Im Gegensatz zu anderen Sinneswahrnehmungen sinkt die Reizschwelle bei längeren Reizen !
Nozizeption:
Man geht davon aus, daß Schmerzen eine selbstständige Empfindung mit eigenen Sensoren, Leitungsbahnen und nervösen Zentren sind. Demnach verfügen alle höher entwickelten tierischen Organismen über spezielle Sinnesrezeptoren, die so hohe erregungsschwellen haben, daß sie nur durch gewebeschädigende, bzw. gewebebedrohende Reize (sog. Noxe) aktiviert werden. Diese Sensoren und ihre afferenten Nervenfasern werden daher als Nozizeptoren bezeichnet. Die von Nozizeptoren aktivierten neuralen Strukturen bezeichnet man als nozizeptives System. Unter der Nozizeption versteht man hingegen die gesamte Aufnahme, Weiterleitung und die zentralnervöse Verarbeitung noxischer Signale. Die menschliche Haut ist nicht gleichmäßig empfindlich sondern besitzt sogenannte Schmerzpunkte. Bei diesen Schmerzpunkten handelt es sich um polymodale Nozizeptoren, die gleichermaßen auf mechanische, thermische und chemische (Bradykinine, Prostaglandine) reagieren. Selbiges gilt für die Nozizeptoren der Skelettmuskulatur, der Sehnen und Gelenke.Histologische betrachtet handelt es sich bei den Nozizeptoren um nichtkorpuskuläre (-freie-) Nervenendigungen. Diese enden vorzugsweise in der Antventitia kleiner Blut – und Lymphgefäße, aber auch in Bindegewebsräumen und im Endoneurium selbst. Wahrscheinlich sind die Erregungsprozesse von Nozizeptoren denen anderer sensoren analog. Am Anfang steht dabei immer das Auftauchen einer Noxe (z. B. Bakterien, Mangeldurchblutung, Gewalteinwirkung, extreme Temperaturen). Diese Noxe führen entweder direkt zuj einer Erregung von Nozizeptoren (vor allem bei mechanischer Gewalteinwirkung) oder in den meisten Fällen zu einer Kette von Zell – und Gewebereaktionen. Diese Reaktionen führen zur Freisetzung von Stoffen, sogenannter Noxe im engeren Sinne, die erregend bzw. sensibilisierend auf die Nozizeptoren einwirken. Aufgrund der Feinheit dieser Sensoren konnten die durch Noxe ausgelösten Generator – oder Rezeptorpotentiale noch nicht elektrophysiologisch beobachtet werden. Dabei ist die Reizschwelle weder für alle Nozizeptoren einheitlich noch für einen gegebenen Nozizeptor konstant. In gesunden Geweben sind die Nozizeptoren entweder hochschwellig oder mechanoinsensitiv (sog. stumme oder schlafende Nozizeptoren). Ist das betreffende Gewebe pathophysiologisch verändert (z. B. durch Entzündung) werden die Nozizeptoren sensibilisiert, d. h. ihre Reizschwellen werden soweit abgesenkt, dass selbst nichtnoxische Reize zur Erregung der Nozizeptoren führen. Hierbei werden auch die "schlafenden" Nozizeptoren "aufgeweckt".
Plastische Veränderungen im nozizeptiven System bei Entzündung. A Sensibilisierung eines Nozisensors aus dem Kniegelenk der narkotisierten Katze im Verlauf einer experimentellen Arthritis (Entzündung des Kniegelenks durch Injektion von Kaolin und Carragenan). Dargestellt ist die Zahl der durch Beugung des Kniegelenks ausgelösten Aktionspotentiale vor und bei Entwicklung der Entzündung. B Entstehung von Übererregbarkeit (zentrale Sensibilisierung) in einem nozizeptiven Neuron aus dem Rückenmark einer narkotisierten Ratte im Verlauf einer experimentellen Arthritis. Wie B zeigt, vergrösserte sich das rezeptive Feld im Verlauf der Arthritis, gleichzeitig war das Neuron jetzt durch nichtnoxische Druckreize erregbar. zum vergrößern, bitte anklicken.
Die Sensibilisierung erfolgt hiebei durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (z. B. Bradykinine, Serotonin, Prostaglandine, Leukotriene). Die Entzündungsmediatoren bewirken eine Vasodilatation und eine Erhöhung der Permeabilität der Gefäße. Als Fiolge treten typische Entzündungssymptome wie Schwellungen, Rötung und Überwärmung des betroffenen Gewebes auf. Neben diesen sensorischen Funktionen haben viele nozizeptive afferenten Neurone auch eine effektorische Funktion, die bei neurogenen Entzündungen eine Rolle spielen. Werden diese Neurone aktiviert, können sie an ihren peripheren Endigungen Neuropeptide freisetzen. Die Neuropeptide führen dann zu enzündungsfördernden Gefäßreaktionen, die die Wirkung der lokalen Entzündungsmediatoren noch verstärken. Derartige Reaktionen konnen als neurogene Komponente einer noxischen Entzündungsreaktion verstanden werden.

Nervöse Weiterleitung:

Zentralnervös:
Nozizeptive Afferenzen enden an den Neuronen des Hinterhorns. Von dort aus wird der kontralateral liegende Vorderseitenstrang angesteuert. Dieser leitet den Reiz an den Hirnstamm weiter. Hier konvergieren die Vorderseitenstränge mit den Afferenzen der N. Trigeminus und laufen zum Thalamus, der dann die Projektion auf die verschiedenen Kortexareale vornimmt

Spinal:
Zwischen den nozizeptiven Afferenzen und den Motoneuronen sind Interneurone geschaltet Õ Reflexverhalten.
Flexionsreflex: die ipsilateralen Extensorneurone (Neurone, die den auf der gleichen Seite liegenden Streckmuskel innervieren) werden durch diese Verschaltung gehemmt, damit der Reflex ganz ausgeprägt werden kann und keine antagonistischen Aktionen auftreten können.
Gekreuzter Reflex: entsteht durch die Kombination von spinalen und supraspinalen Verbänden. Folge hiervon ist z.B. eine Stabilisierung beim Wegziehreflex, oder die Schonhaltung
Im Hirnstamm werden die Neurone durch einen nozizeptiven Reiz erregt, es kommt zu negativen Rückkopplungsschaltkreisen, die die weitere Verarbeitung im Hirnstamm oder im Rückenmark inhibieren.
Folge: körpereigene Schmerzabwehr

Schematische Übersicht über den Verlauf der aufsteigenden nozizeptiven Bahnen (links) und der deszendierenden Bahnsysteme, die den nozizeptiven Zustrom modulieren (rechts). Von den aufsteigenden Bahnsystemen sind nur der Tractus spinothalamicus und die sich ihm anschließenden trigeminothalamischen Zuflüsse gezeigt. Andere, an der aszendierenden Konduktion nozizeptiver Information beteiligte Bahnen (z. B.Tractus spinoreticularis,Tractus spinocervicalis) sind der Einfachheit halber weggelassen.Vom lateralen Thalamus nehmen die spezifischen thalamokortikalen Bahnen ihren Ursprung; sie enden überwiegend im somatosensorischen Kortex. Die Efferenzen der medialen Thalamuskerne sind diffuser. Sie enden nicht nur in weiten Arealen des frontalen Kortex, sondern ziehen auch zu subkortikalen Strukturen, insbesondere des limbischen Systems (nicht eingezeichnet ebenso nicht die starken retikulären Zuflüsse dieser Kerne). Die deszendierenden Systeme üben ihren Einfluß überwiegend auf spinaler Ebene (bzw. auf die entsprechenden trigeminalen Strukturen, nicht eingezeichnet) aus. Die Einsatzfigur gibt in einer Seitenansicht des Hirnstamms die Lage der Hirnstammschnitte an: 1 kranialer Rand der unteren Olive, 2 Mitte des Pons, 3 unteres Mesenzephalon. PAG periaquäduktales Grau (zentrales Höhlengrau); NRM Nucleus raphe magnus (nach Untersuchungsergebnissen zahlreicher Autoren) zum vergrößern, bitte anklicken.

Schmerzformen:
Entzündungsschmerz:
Alle Entzündungen führen zu einer charakteristischen Schmerzsymptomatik, die man als Allodynie und Hyperalgesie bezeichnet und die häufig in Kombination mit Spontanschmerzen auftritt. Die Allodynie bezeichnet Schmerzen, die durch nichtnoxische Reizungen verursacht wird. Bsp.: bei einem Sonnenbrand führt schon eine Berührung oder geringer Wärmereiz (nichtnoxischer Reiz) zu Schmerzempfindungen. Die Hyperalgesie bezeichnet hingegen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber noxischen Reizen.

Projezierter Schmerz:
Bei akuten bzw. chronischen Reizungen afferenter nozizeptiver Nervenfasern kann es zu projezierten, bzw. neuralgischen Schmerzen kommen.Als Beispiel hierfür sei das Stoßen des sog. "Musikantenknochens" genannt. Hierbei kommt es durch die heftige mechanische Reizung des N. ulnaris zu Missempfindungen im Versorgungsgebiet dieses Nervs. Die dadurch in diesem Nerv ausgelöste Impulsaktivität wird vom Bewußtsein in dessen Versorgungsgebiet projeziert. Normalerweise kämen derartige Impulse aus den Sensoren dieses Versorgungsgebietes. Bei projezierten Schmerzen ist demnach der Ort der Einwirkung einer Noxe nicht mit dem Ort der Schmerzempfindung identisch. zum vergrößern, bitte anklicken.
Neuralgien:
Neuralgien entstehen durch die kontinuierliche Reizung eines Nervs oder einer Hinterwurzel (z. B. Bandscheibenvorfall). Derartige chronische Nervenschädigungen führen zu "spontanen" Schmerzen, die häufig Wellenförmig oder Attackenweise auftreten und meist auf das Versorghungsgebiet des erkrankten Nervs bzw. der geschädigten Wurzel beschränkt sind. Diese durch pathophysiologische impulsbildung an nozizeptiven Fasern (und nicht an den Nozizeptoren selbst) entsehenden Schmerzen bezeichnet man als Neuralgie oder neuralgischen Schmerz.

Übertragener Schmerz:

Werden Eingeweide noxisch gereizt, so empfindet man den Schmerz nicht nur am betroffenen inneren Organ, sondern auch im zugehörigen Hautabschnitt als sogenannten übertragenen Schmerz. Das Zustandekommen übertragener schmerzen beruht darauf, dass nozizeptive Afferenzen aus der Haut auf dieselben Ursprungszellen der aufsteigenden nozizeptiven Bahnen projezieren wie die nozizeptoren der inneren Organe.
Entstehungswege übertragener Schmerzen. Links ist gezeigt, daß nozizeptive Afferenzen aus den Eingeweiden zum Teil an denselben Neuronen des Hinterhornes enden wie nozizeptive Afferenzen aus der Haut. Rechts ist zu sehen, daß dieselbe nozizeptive Afferenzen gelegentlich sowohl oberflächliches wie tiefes Gewebe versorgen kann. zum vergrößern, bitte anklicken.
Ausserdem ist es möglich, dass axonkolateralen primärer nozizeptiver Afferenzen sich bereits im Bereich des Spinalnerven in zwei oder mehrere Kollateralen aufzweigen, die anschließend oberflächliche und tiefergelegene Strukturen innervieren. Da übertragene Schmerzen im zugehörigen Dermatom empfunden werden sind sie oft ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel.

Zentrale Schmerzen:
Funktionelle Störungen oder Defekte spinaler oder supraspinaler nozizeptiver Systeme können zu Erregbarkeitssteigerungen und Spontanaktivitäten dieser Strukturen führen, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind. Derartige durch Schädigungen des ZNS verursachten Schmerzen bezeichnet man daher als zentrale Schmerzen. Bsp.: Aussreissen von Hinterwurzeln (Anaesthesia deolorosa), Thalamusschmerz (Schädigung sensorischer Thalamuskerne). In vielen Fällen sind Schädigungen zentralnervöser Strukturen jedoch nicht schmerzhaft, wie beispielsweise bei Schlaganfällen und Gehirntumoren.
Angeborene, völlige Schmerzunempfindlichkeit:
Bei einem Teil dieser seltenen Fälle lässt sich kein eindeutiger Defekt des Nervensystems nachweisen. In anderen Fällen fehlen entweder die nozizeptiven Afferenzen in den peripheren Nerven oder die ersten weiterführenden Neurone im Hinterhorn des Rückenmarks. Die Symptomatik ist jedoch immer die gleiche: die betroffenen Personen können keine gewebeschädigenden Reize mehr wahrnehmen. Sie führen sich zahlreiche, mitunter schwere bis zur Selbstzerstümmelung reichende Verletzungen zu, die eine Vielzahl von Infektionen nachsichziehen und zu einem vorzeitigen Tod des Betroffenen führen.

Transmitter, Modulatoren:
Exzitatorische Aminosäuren:
L – Glutamat, Aspartat depolarisieren viele noz. Neurone, und gelten damit als dieTransmitter bei der Schmerzempfindung
Noradrenalin, Dopamin:
Dienen der Hemmung, deweiteren sind sie Transmitter des veget. NS
Neuropeptide, auch Neuromodulatoren:
Induzieren Depolarisation oder Hyperpolarisation.
Der Zeitverlauf wird anders
Vermutlich ergänzen sie die klassischen Transmitter, deren Latenzen und Dauer oft im Minutenbvereich liegen.
NP die eine exzitatorische Wirkung haben sind z.B. Tachykinine
Können auch der Hemmung dienen: Opioide