Die Frage nach der zeitlichen Auflösung des Bewegungssehens kann durch Messungen
der optomotorischen Reaktion eines Tieres untersucht werden. Dazu setzt man das
Tier in einen feststehenden Glaszylinder, um den ein zweiter Zylinder mit einem
Streifenmuster drehbar ist. Wird der Streifenzylinder bewegt, versucht das Tier dem
Streifenmuster zu folgen und bewegt dazu die Augen (Nystagmus) oder nimmt eine charakteristische
Körperhaltung ein, so wie der Frosch und die Fliege auf dem Bild. Die zeitliche Auflösung
des Schwarz-Weiß-Musters auf der Streifentrommel wird durch die Reaktionsgeschwindigkeit der
Photorezeptoren begrenzt. Wenn die Reaktion der Photorezeptoren länger dauert als das
Auftreffen von zwei gleichfarbigen Streifen, dann verschmelzen die Lichtreize und es entsteht der
Eindruck eines konstanten Grautons, eines stehendes Bildes.
Wenn man die Drehgeschwindigkeit der Streifentrommel erhöht bis das Tier durch Körper-
oder Augenhaltung anzeigt, daß es keine Bewegung mehr wahrnimmt, kann man berechnen, wieviele
Streifen pro Sekunde das Tier als bewegtes Bild erkennen kann. Diese Flimmerverschmelzungsfrequenz (FVF)
ist ein Maß für die zeitliche Auflösung des Bewegungssehens.
Typische FVF-Werte bei optimaler Belichtung sind:
Linsenaugen
Frosch: 8 Hz
Gecko: 25 Hz
Schwertfisch: 42 Hz
Schildkröte: 50 Hz
Mensch: 60 Hz
Octopus: 72 Hz
Komplexaugen
Nachtaktive, langsame Insekten:
Periplaneta, Carausius, etc. 8-10 Hz
Bienen, Wespen: ca. 220 Hz.
Die Unterschiede bei den FVF-Werten sind vor allem in der Reaktionsgeschwindigkeit der
Photorezeptoren begründet. Bei Stäbchen-Photorezeptoren, die auf höchste
Lichtempfindlichkeit optimiert sind, vergeht eine relativ lange Latenzzeit (ca 50 ms)
zwischen Lichtstimulation und Reaktion. Bei Zapfen beträgt die Latenzzeit nur ca 10 ms,
und bei Wespen wurden Latenzzeiten um 2 ms gemessen. Ein Grund für die enorme Reaktionsgeschwindigkeit
der Retinulazellen scheint zu sein, daß die an der Phototransduktion beteiligten
Enzyme im Rhabdomer durch spezielle Proteine in einem Komplex zusammengebunden werden.
Durch diese räumliche Zusammenlagerung auf kleinstem Raum (einer sogenannten Mikrodomäne)
sind die Diffusionsstrecken für die beteiligten Komponenten kurz, und die Transduktionskaskade
kann schneller ablaufen. (siehe: Tsunoda und Zucker, 1999).
Komplexaugen können also höhere Bewegungsgeschwindigkeiten auflösen aufgrund
der schnelleren Lichtreaktion ihrer Photorezeptoren.
Aus: Penzlin, H. (1996) Lehrbuch der Tierphysiologie.
Gustav Fischer Verlag, Jena